Alexa Schlüter
Ereignisse in der Zeit von 1967 bis 1974
Der Zeitraum 1967 bis 1974, in dem Dimitri Soulas sein gesamtes fotografisches Oevre geschaffen hat, war aus historischer Sicht sehr bedeutend für alle „drei Welten“, in die die Journalisten die Erde während des Kalten Krieges gerne aufteilten: die „erste Welt“ war die Welt des westlichen Kapitalismus, die „zweite“, die Welt der sozialistischen Länder und die „dritte“, die Welt Afrikas, Asiens und Lateinamerikas.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die westliche Wirtschaft den Höhepunkt ihrer Produktivität erreicht, in den Industrieländern war der stärkste Aufschwung seit Beginn der Industrialisierung zu verzeichnen. In Deutschland brauchte man für die Realisierung des von der gesamten westlichen Welt bestaunten Wirtschaftswunders immer mehr Gastarbeiter, die scheinbar unaufhörlich von den wirtschaftlich unterentwickelten Regionen Südeuropas zuströmten. Der Zeitraum von Kriegsende bis 1974 sollte in Frankreich später als „les trente glorieuses“, die dreißig glorreichen Jahre, bezeichnet werden. Womit viele europäische Politiker sicherlich nicht gerechnet hatten, waren die Revolten in Städten wie Berlin oder Paris und die offensichtlich plötzlich eingetretene Verwandlung von Jugendlichen und Studenten des bürgerlichen Mittelstandes in Revolutionskämpfer.
Für jüngere und spätere Generationen wird es von Interesse sein, die weltweiten Ereignisse dieses bemerkenswerten Zeitraums in Auszügen in Erinnerung zu rufen.
•Im April 1967 kommt es zum Putsch der Junta in Griechenland und zur Etablierung der Militärdiktatur der Obristen.
•In den ersten Junitagen von 1967 wird in Berlin von der deutschen Polizei der
Student Benno Ohnesorg erschossen, der an einer Demonstration gegen den persischen Schah Rezah Pahlewi teilgenommen hat. In einer einzigen Nacht radikalisieren sich Hunderttausende von jungen Deutschen. Die Ermordung Ohnesorgs wird zu einem Symbol für die harte Haltung und Reaktion der deutschen Regierung. Da die regierende Koalition von Christdemokraten und Sozialdemokraten für die Nottandsgesetze plädiert, interpretieren viele der Studenten diese Kombination von Tatsachen als Vorstufe eines Wiederbelebungsversuches des Totalitarismus in West-Deutschland.
•In Lateinamerika beendet der Tod von Che Guevara (Okotober 1967) den kubanischen Versuch, die Revolution von Fidel Castro zu verbreiten und den Partisanenkrieg in den nordamerikanischen Kontinent zu verlagern. Che Guevara wird zu einem internatinalen Symbol für die Revolution.
•Ende 1967/Anfang 1968 leitet die Tett Offensive des Vietkong die spätere Niederlage der amerikanischen Truppen in Vietnam ein.
•Ungefähr zu gleichen Zeit übernimmt Alexander Dubcek die Führung der tschechoslowakischen kommunistischen Partei. Dem Rücktritt von Präsident Novotny folgen die Reformen des „Prager Frühlings“, die den „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ durchzusetzen versuchen. Am 20. und 21. August 1968 wird die Dubcek-Regierung durch den Einmarsch von Truppen des Warschauer Pakts in die Tschecheslowakei gestürzt.
•Der Erfolg der Prager Reformen führt zu studentischen Protesten in Polen, die gewaltsam niedergeschlagen werden.
•Im Frühjahr 1968 bricht auch in Frankreich eine Krise aus. Die „Mai-Ereignisse“ bedeuten nicht nur größte Mobiisierung von Studenten in der französischen Geschichte. Durch ihre Ausweitung führen sie zum bis dahin größten Generalstreik des Landes.
•Auf den Pariser Mai folgen Massenproteste von Studenten in Jugoslawien, die jedoch von Präsident Tito beruhigt, repressiv unterdrückt werden.
•Die Studentenbewegung beschränkt sich nun nicht mehr nur auf Europa und Nordamerika. Im Herbst 1968 kommen kurz vor der Eröffnung der Olympischen Spiele in Mexiko-Stadt bei einer größeren öffentlichen Versammlung Protestteilnehmer ums Leben. Diese Kundgebung ist Höhepunkt der zahlreichen Volks- und Studentendemonstrationen im ganzen Land.
•Schließlich beginnen auch in Nordirland die Unruhen; die Krawalle zwischen Polizeikräften und Teilnehmern der Demonstration für die Einhaltung der Menschenrechte in Lodonderry sind ein Beispiel dafür.
•In Westdeutschland wiederum hat der Mordversuch an dem Studentenführer Rudi Dutschke eine neue Phase der Mobilsierung der Studenten eingeleitet.
•Die studentischen Proteste, verbunden mit einem 24-stündigen Generalstreik in Italien, sind die Vorboten der größeren Demonstrationen, die in den sogenannten „heißen Herbst“ von 1969 münden und zur späteren Gründung der brigate rosse führen.
Charakteristisch für die Studentenbewegung ist ihr fast gleichzeitiges Auftreten östlich und westlich des sogenannten „Eisernen Vorhangs“. Die Entwicklung der Ereignisse nach dem unerwarteten Ausbruch der Revolten war für alle Beteiligten nicht vorherzusehen.
Der Zeitraum zwischen 1967 und 1974 war dabei von vier wichtigen Entwicklungen gekennzeichnet. Eine davon war die große Kulturrevolution von Mao in China, eine Zeit, die für die Mehrzahl des chinesischen Volkes Restriktion und Unterdrückung bedeutete. Ohne sich dieser negativen Auswirkungen der Verwirklichung von Maos Idee einer klassenlosen Gesellschaft bewußt zu sein, waren zunächst viele der jungen Interlektuellen im Westen – oftmals aus einer Art „Mode“ heraus – begeisterte Anhänger des Maoismus, einem Kult, der an einen Erfolg der vom „Großen Steuermann“ ausgerufenen Dauerrevolution glaubte.
Zur zweiten wichtigen Entwicklung gehört die Fortsetzung des Konfliktes im Mittleren Osten. Nach dem israelischen Sieg im Sechs-Tage-Krieg von 1967 hatte sich sowohl der bewaffnete Widerstand der palestinänsischen Kommandos, als auch die Bekämpfung des Terrorismus von israelischer Seite aus zugespitzt. Der Bürgerkrieg in Nigeria und seine tragischen Folgen ist als dritter wichtiger Aspekt zu nennen.
Begonnen als Versuch der Abspaltung einer an Ölvorkommen reichen Region endeten die zwei Jahre dauernden Auseinandersetzungen mit der unvermeidlichen Niederlage des diplomatisch isolierten und abgespaltenen Biafras.
Erwähnenswert sind schließlich auch die Entwicklungen im Bereich der visuellen und musikalischen Kultur. Zwischen 1967 und 1970 fanden von Monterey über Woodstock bis Altamont die bis dahin größten Rockfestivals statt, auf denen die sogenannte „Antikultur“ geformt und gelebt wurde. Sie entwckelte sich zur größten Kulturrevolution der westlichen Welt.
Trotz der dramatischen Ereignisse konnte der Zeitraum von 1967 bis 1974 nicht den proklamierten „Frühling der Völker“ herbeiführen. Vielmehr ging er als Phase der grundlegenden kulturellen Veränderung, der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformationen in die Geschichte des 20. Jahrhunderts ein. Im Vordergrund stand dabei die Revolution innerhalb des Bildungssektors. Eine Revolution, die in allen „drei Welten“ dazu geführt hat, dass sich die Gruppe der Universitätsstudenten von einer kleinen Elite der Bürgerklasse zu einer vielschichtigen, aktiven Mehrheit entwickelt hat.
Der Zeitraum führte eine neue globalisierte Form der Kommunikation vor Augen, denn dieselben Vorbilder und Ideen und das Streben nach ihrer Verwirklichung brachten zugleich das Auseinanderklaffen in den Erwartungen, Verhaltensweisen, Hoffnungen und Ängsten beider Generationen – der von vor 1960 und der nach 1960 – ans Licht. Die Emanzipation der Frauen, die Befreiung der Gesellschaft von vielen Tabus und die damit verbundenen Verhaltensänderungen im privaten und öffentlichen Bereich sowie innerhalb der Geschlechterbeziehungen selbst sind nur einige der wichtigen Errungenschaften dieser Zeit.
Innerhalb dieser bewegten Jahre erhielt Dimitri Soulas die Kündigung von dem internationalen Obstkonzern, bei dem er tätig war. Grund war sein politisches Engagement gegen die Militärreguierung. Er war Mitbegründer der Panhellenischen Antidiktatorischen Union. Aus dieser Situation heraus machte Dimitri Soulas sein fotografisches Hobby erfolgreich zum Beruf.