Dimitri Nollas

Dimitri Soulas, ein Intellektueller des Blickes

Die Gesamtheit des fotografischen Kosmos von Dimitri Soulas wird von einem dünnen Faden durchzogen, der mal fragile, mal untergründige und hin und wieder harte Züge offenbart. Dieser Faden ist jedoch stets präsent und erinnert uns eindringlich daran, dass die Welt erst beim Anblick des Anderen zu existieren beginnt. Ohne unseren Blick wäre die uns umgebende Welt nicht existent.

Die Generation der 60er und der Migrantenstrom. Die Welt der Nacht, der Entwurzelten und der Aufständischen, der existenziellen Einsamkeit. Der Anmacher, der bettelnd die Frau in der unwirtlichen Umgebung des Bahnhofs verfolgt. Eine Welt, unzugänglich und gleichgültig, eine Welt, die teilnahmslos vorbeizieht und Kollateralschäden hinterlässt, die erloschene Zigarette des Schnurrbartträgers und sein unerfüllter Wunsch nach menschlichem Kontakt.

Ich kommentiere eine Auswahl von Fotografen, mit denen mich dieser Faden verbindet, der in meinem Fall zu einem dicken Band wurde und meinen Blick entscheidend und über einen längeren Zeitraum fesselte.

Das Schaufenster mit dem Spielzeug, eine zauberhafte Welt für Kinder. Es stehen nicht nur die bewundernden und sehnsüchtigen Kinderblicke im Mittelpunkt des Bildes. Es sind auch die Blicke ihrer Eltern, die sie begleiten und verlegen diesem Einführungsritual in die Welt eines scheinbaren Wohlstands beiwohnen. Dieses Bild mit den zwei unterschiedlichen Welten vor dem Schaufenster-Spiegel : die Unschuld des kindlichen Blickes einerseits und der beunruhigte (und vielleicht sogar schuldhafte) Blick der Erwachsenen andererseits spiegeln den Konsum als zentrales Auswahlkriterium in unserem Leben wider.

Die Einsamkeit des Menschen angesichts der Flut von Maschinen. Der Herrscher über die Technik, blockiert von Fahrzeugen, die ihn daran hindern, einen Schritt zu machen, all das lässt einen kafkaesken Alptraum wieder entstehen ; die Menschen-Käfer, eingezwängt in ihrem metallischen Panzer, haben unser Leben überflutet.

Und dieser erschrockene Blick der einsamen Frau vor dem Exhibitionisten in der U-Bahn. Durch diese öffentliche Zurschaustellung bettelt die Einsamkeit auf brutale Art um menschliche Nähe. Die Angst bringt mich näher zu dir. Tritt näher, ich kann dich trösten. Und sie, ein modernes Rotkäppchen, wird sich das Gesicht des Wolfes aussuchen, um nach dem ersten Schock ihren Blick zu fixieren. Ein eisiger Blick, der für sich selbst spricht und respektlos dem anderen ins Gesicht sagt : Keine Annäherung. So einfach ist es.

Das reiche Abendessen und der Alltag in Biafra, wo die Kinder wie die Fliegen sterben. Auf den ersten Blick wird die Mitleidlosigkeit und die Gleichgültigkeit der Industriegesellschaft angesichts des Leids der dritten Welt sichtbar. Beim zweiten, genaueren Hinsehen erkennt man, dass Dimitri Soulas uns vor Augen führt, dass man kein irdisches Paradies schaffen kann. Der menschliche Traum von einer gerechten Gesellschaft bleibt ein Traum, solange die Voraussetzung für die Existenz der einen Welt das Leid der anderen ist. Die eine kann ohne die andere nicht existieren.

Das Lachen der älteren Generation. Ein tröstender und optimistischer Anblick, wenn ältere Menschen, die Höhen und Tiefen des Lebens miterlebt haben, von ganzem Herzen lachen. Es ist kein Zeichen von Teilnahmslosigkeit gegenüber der Welt, einer Welt der sozialen Ungerechtigkeit, der Unruhe und des tödlichen Vietnamkrieges. Ein optimistisches Zeichen, da die eigentliche Botschaft und Bedeutung dieses Lachens ist, „dass die Qualen und die Sorgen dieser Welt kein Ende haben“. Dass das, was passiert ist, wieder passieren wird. Das Lachen der Alten, ein Zeichen für Ausdauer und Geduld.

Dimitri Soulas, ein Zeuge des Blickes. Wir danken ihm.