Hercules Papaioannou

Augenblicke der großen „Family of Man“

Die Geschichte der Fotoreportage im 20. Jahrhundert wurde größtenteils von Menschen geschrieben, die sich weniger durch den systematischen Erwerb einer künstlerischen Ausbildung auszeichneten als durch den tiefen Wunsch, das Leben in seinen Extremen, wie z. B. den Krieg aber auch im kontinuierlichen Fluss des täglichen Geschehens zu beobachten und festzuhalten. Einen solchen Fall mit seinen eigenen, besonderen Merkmalen stellt auch Dimitri Soulas dar.

Soulas wurde 1938 in Thessaloniki geboren. Bereits in jungen Jahren interessierte er sich für Musik, Literatur und Lyrik und im Alter von nur 16 Jahren begann er, Texte zu Rundfunkspots zu verfassen und diese anzusagen. Gleichzeitig wurde ein von ihm verfasstes Drehbuch mit dem ersten Preis beim Wettbewerb für Fotoromane der Thessaloniker Zeitung Drasis (*1) prämiert. Der Fotoroman „Auf Wiedersehen Freude“ bildete seinen indirekten Kontakt zur Fotografie. 1959 nahm er ein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Frankfurt auf und besuchte gleichzeitig die Vorlesungen der berühmten „Frankfurter Schule“, in denen er sich mit dem zeitgenössischen politischen und philosophischen Gedankengut vertraut machte.
Im folgenden Jahr sah er in Hamburg die Großausstellung The Family of Man von Edward Steichen, die um die ganze Welt ging, und war von der Aussagekraft der Fotografien im Hinblick auf die conditio humana sehr beeindruckt. Kurz darauf begann er mit Hilfe eines Lehrbuchs von Andreas Feininger Amateurbilder aufzunehmen. 1964 wurde er in der Marketing-Abteilung des multinationalen Konzerns, der in München Obst und Gemüse aus der ganzen Welt und aus Griechenland importierte, eingestellt. Nach dem Militärputsch 1967 gründete er zusammen mit anderen Griechen in München die „Panhellenische Antidiktatorische Union“. Ein paar Monate später übte der griechische Handelsattache` in München Druck auf seine Firma aus, indem er mit einem Embargo für griechische Produkte drohte, und erwirkte damit die Kündigung von Soulas aufgrund seiner politischen Überzeugungen. Soulas wurde arbeitslos. Obwohl es sicherlich nicht schwierig gewesen wäre, einen Job in seiner Branche zu finden, beschloss er den großen Schritt zu unternehmen, als freier Fotoreporter zu arbeiten. Sein einziges Rüstzeug waren Basiskenntnisse in Fotografie. Er war sich aber sehr wohl im Klaren, was er damit erreichen wollte : mittels der Beschäftigung mit dem Alltag des Menschen dessen Existenz zu durchleuchten.

Der Anfang im neuen Berufsfeld war nicht leicht, da seine Aufnahmen oft zu spät in den Redaktionsbüros der Zeitungen eintrafen. Ein Kollege bei Associated Press offenbarte ihm ein paar Geheimnisse zur schnelleren Entwicklung der Filme, die es ihm ermöglichten, die knappen Fristen der Aktualität einzuhalten. Durch Soulas` Entschlossenheit ließ der berufliche Erfolg nicht lange auf sich warten : Ende 1967 war er bereits freier Mitarbeiter von Associet Press , die Münchner Zeitungen erteilten ihm Aufträge und verschiedene Fotozeitschriften veröffentlichten seine Arbeiten. 1970 kam eine besondere Anerkennung : Fritz Gruber, Gründer der Photokina und geschäftsführender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Photographie , hat ihn im Rahmen eines Forums in Köln den „Fotografen des entscheidenden Augenblicks“ im Sinne von Henri Cartier-Bresson genannt. Es war Cartier-Bresson selbst, der Soulas empfahl, mit der Agentur Magnum zusammenzuarbeiten, die seine Fotografien in anderen Ländern verbreitete. Es folgten diverse Kooperationen mit großen Zeitschriften wie Stern, Quick, Neue Revue. Der Stern von Dimitri Soulas war aufgegangen.

Soulas beließ es jedoch nicht dabei, sondern nutzte die Erfahrungen seiner vorherigen beruflichen Laufbahn und Ausbildung und wendete die Grundsätze des Marketings auch in seiner jetzigen Arbeit an : 1972 organisierte er einen Fotoversand mit eigenen unveröffentlichten Aufnahmen, die bisher in den Archiven der Zeitungen und Zeitschriften landeten und nur bei Bedarf zur Illustration von Artikeln eingesetzt wurden. Diese „nicht aktuellen „ Veröffentlichungen entwickelten sich nun zu einer wichtigen Einnahmequelle für den jungen Fotoreporter, der systematisch die kommerzielle Nutzung seines Archivs vorantrieb. Damals begann die goldene Ära der illustrierten Presse. Das Wirtschaftswunder im Nachkriegsdeutschland hatte die Werbeeinnahmen der Zeitungen und Zeitschriften in die Höhe getrieben, da die Sendezeit für Fernsehwerbung streng limitiert und bereits vorverkauft war. Das führte dazu, dass die Printmedien ihre Seitenzahl erhöhten, um ihre Werbeeinnahmen zu optimieren, und es entstand eine größere Nachfrage für Artikel und Bilder.

Die technischen Parameter für Soulas` Werk wurden durch die Vorgaben der Fotoreportage und seinen persönlichen Stil geprägt : die Schwarzweiß-Fotografie war die Regel für die Reportage der 60er Jahre. Die gepuschten Tri-X Filme ermöglichten schnellere Aufnahmegeschwindigkeiten. Das kleine Format bot Flexibilität, relative Aufnahmeautonomie, zahlreiche schnelle Bildserien. Die Weitwinkelobjektive erweiterten den Blickradius des Fotografierenden bei gleichbleibender Tiefenschärfe. Teleobjektive wurden dagegen bei Portraits oder Sportereignissen eingesetzt. Soulas nutze gerne nur das vorhandene Licht, wann immer das möglich war. Er vermied jene speziellen Techniken und Experimente einzusetzen, die im Deutschland der 50er Jahre durch die subjektive fotografie von Otto Steinert vorherrschten. Stattdessen beharrte er auf der Auffassung von Fotografie als „Fenster zur Welt“. Oft entstand eine lange Reihe von Aufnahmen zum selben Thema, um den richtigen Augenblick zu erfassen. Auf diese Weise entstanden Bildeinheiten, die als Serie gelesen werden können.

Soulas` Werk kann in zwei Grundkategorien aufgeteilt werden, die oftmals ineinander übergehen : die Auftragsarbeiten und das persönliche Werk. Im Bereich der Aufträge ist er ein nicht müde werdender Fotograf gewesen, der erfolgreich alle thematischen Sparten wie Polizei, Kunst, Sport, Mode und politischen Themen in Reportagen abgedeckt hat. Er bewies große Anpassungsfähigkeit, wenn es darum ging, konventionelle aber auch ungewöhnliche Momente einer Reihe von Sportarten zu erfassen, und fotografierte ausführlich die ereignisreichen Olympischen Spiele in München. Bei fast allen seine Auftragsarbeiten erkennt man eine Virtuosität in der ausdrucksstarken Bildillustration des Ereignisses. Soulas hat zudem „kommerzielle Aktfotos“ erstellt. Er fotografierte Aktmodelle für die Bild-Zeitung, die auf der Titelseite der Zeitung erschienen, in der Absicht die sexuelle Liberalisierung volksnah darzustellen.

Andererseits entwickelte er im Rahmen seiner Auftragsarbeiten eine stete Wachsamkeit, die über die Grenzen der unregelmäßigen Arbeitszeiten eines Fotoreporters hinausging, um den der menschlichen Existenz immanenten Anstrengungen und Besonderheiten durch den kontinuierlichen Fluss des Alltags hindurch in Form einer Grimasse oder einer Geste Gestalt zu verleihen ; die flüchtige Wechselbeziehung zwischen Menschen und Zeichen des urbanen Lebens markierte den Auslöser für einen treffenden Kommentar. Dieses Werk, entstanden aus rein persönlichem Antrieb, war bewusst anthropozentrisch. Bei der Durchsicht seines Archivs wird man feststellen, dass er es nachdrücklich mied, Räume oder Landschaften als eigenständige Motive abzubilden. Er benutzte den Raum als unentbehrliche Bühne, auf der sich tagtäglich die unerschöpflichen Varianten der menschlichen Tragödie abspielen. Er entwickelte die Gabe der intuitiven Antizipation der Dinge an sich, denn um einen Augenblick festhalten zu können, muss man reagieren bevor er eintritt. Somit ist das, was man aufnimmt nicht das, was man unmittelbar sieht, sondern das, was man erahnt, dass es genau im nächsten Moment passieren wird. Das wiederum bedeutet, dass man relativ unbemerkt im Schatten des Ereignisses ausharren muss, eine Tatsache, die in Zeiten, als die Fotografen unterwegs waren ohne Abwehrreflexe hervorzurufen und die Menschen sich noch relativ unbefangen und spontan gegenüber der Kamera verhielten, bestimmt leichter fiel als heute. Der Mensch steht immer im Zentrum seiner Aufnahmen.

Seine Fähigkeit, ausdrucksstarke Momente zu erfassen, blieb nicht lange verborgen : das Fotomagazin bezeichnet ihn als „Fotografen des entscheidenden Augenblicks“ (*2).In der Einführung des Dimitri Soulas gewidmeten Beitrags der deutschen Zeitschrift Photo notierte Fritz Gruber, dass „ (…) nur wenige dem humanistischen Vorbild von Henri Cartier-Bresson mit der hingebungsvollen Konsequenz und intuitiven Begabung eines Dimitri Soulas gefolgt sind. Er hat einen untrüglichen Sinn für das Aufspüren jener kleine Alltagsbegebenheiten, in denen der Mensch nackt und hilflos vor seinem Schicksal steht“ (*3).Viele Veröffentlichungen der damaligen Zeit lobten seinen Versuch, in die unsichtbare Seite der Dinge einzudringen, abseits jener oberflächlichen Wahrnehmung, die aktuelle gesellschaftliche Bedingungen kommentiert. (*4).

Der fotografische Blick von Soulas wurde nicht durch Interpretationen der Geschichte der Fotografie determiniert, sondern durch die freie Beobachtung des Lebens auf der Straße sowie durch den humanistischen Geist des Mediums in der Nachkriegszeit, insbesondere den Geist von Steichens Ausstellung, der die damalige Zeit nachhaltig prägte, indem er die Fähigkeit der Fotografie „dem Menschen den Menschen zu erklären“ veranschaulichte.
Das Werk von Soulas scheint unbewusst die Auffassung von der menschlichen Spezies als eine große, offene Familie, fern jeglicher Gegensätze und Widersprüche zu teilen, zu einer Zeit als der harte Kern der Familie und ihr größerer gesellschaftlicher Rahmen Anzeichen von Auflösung aufwiesen, eine Tatsache, die er auch privat erfahren musste. Gleichzeitig war der Einsatz von Fotografie als Mittel zur Beobachtung der Gesellschaft ein Betätigungsfeld, das mit den Marketing-Grundsätzen, auf die er sich ja spezialisiert hatte, durchaus kompatibel war, wobei im Marketing zwar das menschliche Verhalten untersucht wird, wenn auch in vollkommen unterschiedlicher Absicht. Die geistigen Prozesse, die bei ihm durch seine Ankunft in Deutschland in Gang gesetzt wurden, führten zur Herausbildung einer linksorientierten, nicht zuzuordnenden ideologischen Anschauung, die seine Haltung als Fotograf beinflusste. Er ließ sich ebenfalls mehr oder weniger bewusst von den Arbeiten der amerikanischen Fotografen Jacob A. Rils und Lewis Hine beeinflussen, die beide aus historischer Sicht Begründer der Dokumentarfotografie waren. Unter diesen Bedingungen richtete er seine Kamera auf die ausländischen Arbeiter, zu denen er eine gewisse Nähe spürte, da er selbst Ausländer war, auf die wütende Generation der 60er und deren dynamische Präsenz auf den Münchner Straßen, auf die Wohlstandsgesellschaft und die alten Leute bei gleichzeitiger Offenheit für die Außenseiter und Minoritäten dieser Gesellschaft. Er hat die eskalierende urbane Komplexität festgehalten, indem er kleinere oder größere individuelle oder kollektive Geschichten von Menschen skizzierte. Gleichzeitig erlebte er den totalen Widerspruch, der dem Fotoreporter-Beruf innewohnt, sich von den Kämpfen auf der Straße direkt zu den Salons einer Modenschau oder eines Empfangs zu begeben. Das Bild, welches beispielsweise eine aufgeschlagene Zeitung mit Bildern aus der Hungersnot in Biafra zeigt, komprimiert in sich zwei äußerlich inkongruente Welten. In Wahrheit kontrolliert die eine Welt die andere, um schließlich das Unglück der letzteren als Bild aus einem Sicherheitsabstand und unter Wohlstandsbedingungen zu konsumieren. Die halbleeren, liegengelassenen Flaschen und Teller schockieren neben dem Bild, in dem der Tod das Gesicht des Hungers trägt.

In einer Bilderserie lichtet Soulas den Bahnhof und die Gastarbeiter ab, wie sie in Koffern und selbstgebasteltem Gepäck den Duft ihrer Heimat transportieren, die unsichtbare Spannung der Atmosphäre, in der gefühlsgeladene Verabschiedungen und freudige Begrüßungen dominieren. Eine weitere Bilderserie dringt ins Innere des Marktgeschehens ein, wo sich z. B. die Frauen wie an einer Bienenwabe um die Schlussverkaufsangebote scharen. In einer dieser Aufnahmen betrachtet eine mit Einkaufstaschen bepackte Frau ein Schaufenster. Ihr Kopf berührt einen großen revolverförmigen Aufkleber, der am Schaufenster angebracht ist, und liefert dabei einen überzeugenden Kommentar über den unscheinbaren Druck, den der Konsum auf den Menschen ausübt.

Diese eindringlichen Beobachtungen schließen auch die hart arbeitenden Menschen mit ein, die sich mitten auf der Straße dem Schlaf überlassen. Die Prostituierte, die angelehnt an einer Straßenlaterne gestikuliert. Den Bettler, der zwischen den Schaufenstern mit den eleganten Anzügen und den kopflosen Körpern der Vorüberziehenden eingesperrt zu sein scheint. Den erstaunten Blick einer Frau, die von einem Exhibitionisten auf dem U-Bahnsteig überrascht wird. Den Mann, der sich für seine bildliche Verewigung im Fotoautomaten herrichtet. Die anonymen Menschenmassen in der Stadt, die von einer öffentlichen Rede magnetisch angezogen werden. Die selbstgefälligen Hippies, die eine vorbeigehende, gut angezogene Bürgerin verspotten. Die ältere Dame mit Stock, die sich vor den Schaufenstern mit den aktuellen Varianten weiblicher Eleganz zerstreut. Die Männer, die auf der Straße das scheue Lächeln ihnen unbekannter Frauen mit bittenden Überzeugungsgesten zu locken versuchen. Die heimlichen Blicke der Passanten, die im öffentlichen Raum ihre Bahnen ziehen. Den Betrunkenen, der aus einer Gaststätte herausgeworfen und zum Spektakel für die vorbeieilende Menge wird. In vielen Fällen hat man den Eindruck, dass das latente Motiv hinter seinen Bildern die Grenze zwischen bürgerlichem Konformismus und einem befreiten, wenn nicht sogar grenzüberschreitenden sozialen Verhalten ist. Sein Blick notiert sogar zärtlich Momente bürgerlicher Tierliebe, die zu einem gewissen Grad die Menschenliebe ersetzt zu haben scheint. Im selben Stil wird auch die einsame menschliche Gestalt mit dem verdrießlichen Gesicht inmitten eines Verkehrsstaus abgebildet, eine Gestalt, die nicht nur die Alltagsprobleme erkennt, sondern gleichzeitig die unwiderrufliche Einkehr der Autokultur begrüßt. In den Modenschauen bringt er behutsam die feenartigen Figuren der Models mit den Blicken der Zuschauer oder dem Geschehen hinter den Kulissen in Verbindung.
Bei einer anderen, für sein Werk bezeichnenden Aufnahme, die ebenfalls von einer Bipolarität zeugt, konfrontiert er die Sehnsucht der Kinder mit ihrem von Schaufenstern voller Kinderspielzeug oder Weihnachtsschmuckständen verklärten Blick mit dem Stoizismus und der reifen Partnerschaftlichkeit der Älteren. In einem anderen Foto glaubt man sogar, dass diese beiden Welten sich zeitweilig berühren : zwei ältere Leute diskutieren am Straßenrand, während eine Demonstration an ihnen vorbeizieht ; ein Kommentar über den jugendlichen Veränderungsdrang im Vergleich zu der gesellschaftlichen Zurückgezogenheit der Älteren.

Soulas hat die stürmische Heftigkeit und Solidarität der pazifistischen Demonstrationen, an denen er oft selbst teilnahm, sowie die spontane Sinnlichkeit der Jugend, die dabei eine führende Rolle spielte, festgehalten. Bei Konzerten war es die Intensität, mit der der Künstler sich an sein Publikum wendet, sein Gesichtsausdruck und seine Körpersprache gegenüber einem oftmals hypnotisierten Pubvlikum. Woanders wird eine humoristische Stimmung sichtbar ; ein Verkehrspolizist gestikuliert, als ob er eine Tanzfigur ausführt. Das Bild von Hitler in Unterhosen bei den Dreharbeiten zu einem Film entmystifiziert diese tragische Gestalt des 20. Jahrhunderts. Eine Gruppe von Männern, die in der Wartehalle des Bahnhofs schläft, schafft eine unerwartet rhythmische Szene durch ihre unbeschwerte Trägheit. Viele dieser äußerlich einfachen Momentaufnahmen kommentieren treffend die Einsamkeit, das Altern, die Liebe, den unbekannten Anderen, die Technik, den Konsumzwang. Diese Stellungnahmen bewahren eine untergründige Verbindung zu dem linksorientierten, nicht linientreuen Gedankengut, das sich Soulas eingeimpft hatte, ein Gedankengut, das in der humanistisch ausgerichteten Nachkriegsfotografie mit ihrem notwendigen wenn auch utopischen Versuch, die aufgetrennten Nähte nach der Erfahrung des absoluten Schreckens wieder zusammenzufügen, auf fruchtbaren Boden stieß. Sollte der Mensch wieder an den Menschen glauben können, müsste er den Blick nach oben richten und dem Menschen entgegensehen. Das fotografische Werk von Soulas hat nicht selten den Versuch unternommen, auf charmante Art eine Vermittlerrolle zu spielen, indem es danach strebte, sich dem Menschen abseits von gesellschaftlichen oder sonstigen Barrieren zu nähern. Gleichzeitig besitzt dieses Werk einen eindeutigen politischen und sozialen Kontext, ohne proklamierend politisch zu sein. Ein wesentlicher Teil dieser Arbeiten steht den Ausdrucksformen der Andersartigkeit in einer komplexen und widersprüchlichen Gesellschaft positiv gegenüber und weist gleichzeitig auf die Vielschichtigkeit einer fotografischen Abbildung hin, in der historische, gesellschaftliche und ästhetische Komponenten oft zu einem Amalgam verschmelzen, das eine eigenständige Auslegung der fotografischen Praxis selbst darstellt.

Es fällt sicher schwer, sich eine Vorstellung von den Schwierigkeiten zu machen, die mit der Wandlung eines Betriebswirts zum professionellen Fotoreporter, der innerhalb von nur sechs Monaten zum Mitarbeiter von Associated Press inmitten konkurrierender Kollegen avanciert, verbunden sind. Gleichermaßen überrascht die Leichtigkeit, mit der Soulas in nur wenigen Jahren diese Berufsentscheidung aufgab, indem er seine unternehmerische Tätigkeit nach einem besonders erfolgreichen Werdegang als Fotograf, wieder aufnahm. Im fotografischen „Sternzeichen“ von Soulas passierte alles sehr schnell : Einarbeitung, Erfolg, Rückzug. Da sein Leben und Werk ständig durch die Dynamik der eigenen Handlung determiniert war, scheint es logisch, dass ihn die Bewegung als Prämisse und nicht das gestellte oder inszenierte Bild interessiert hat. Die Momentaufnahmen und die Reportage stellten für ihn den Abdruck dieser Handlung dar in einem Versuch, die tiefere geistige Disposition hinter den menschlichen Handlungen zu offenbaren.

Die Niederschrift des Epilogs einer Laufbahn als Fotograf begann 1974 mit dem Fall der Militärjunta, als Soulas nach Jahren des Einreiseverbots nach Griechenland, eines Verbots, das ihn sogar von der Beerdigung seines Vaters ferngehalten hatte, den Drang zur Rückkehr in sich spürte. Nach Thessaloniki und Athen musste er feststellen, dass die Voraussetzungen für die Ausübung des Fotoreporter-Berufs in Griechenland nicht günstig waren und sicherlich nicht das hohe Niveau hatten, an das er in Deutschland gewöhnt war. Der einzige Film, den er auf griechischem Boden belichtet hat, zeigt ein volkstümliches, armes Griechenland, das den Charme der Spontanität und der Schlichtheit bewahrt hatte. Bis ungefähr 1976 fotografierte Soulas weiterhin in München, hatte aber bereits begonnen, den Pfad zurück in die Unternehmenswelt einzuschlagen, wo er in den nächsten Jahrzehnten in Deutschland und in Griechenland eine sehr erfolgreiche Karriere absolvierte.

Seine fotografischen Aktivitäten blieben ein wichtiges Kapitel in seinem Leben, da es ihn für die Zustände und Situationen innerhalb der Gesellschaft sensibilisiert hat. Um dieses Kapitel in seinem Leben der unerbittlichen Zeiteinwirkung nicht vollständig preiszugeben, übergab der in Vergessenheit zu geratende griechische Fotoreporter, der sein eigenes, besonderes Porträt der Münchner Gesellschaft geschaffen hatte, in den letzten Jahren sein Archiv dem Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum. In Zusammenarbeit mit dem Fotomuseum in Thessaloniki, Soulas` Geburtsstadt, wurde die Idee einer Retrospektive seines Werks entwickelt, das endlich in einem anderen Kontext als in der gedruckten Presse erscheinen sollte, autonom von journalistischen Texten, damit der Fokus auf die Welt seiner Bilder gerichtet werden und die Evaluation seines Beitrags zum deutschen Fotojournalismus der letzten Jahrzehnte erfolgen kann.

(*1) Diese Serien von Bildergeschichten erschienen Mitte der 50er Jahre in Griechenland in Zeitschriften wie Romandso, Thissathros usw.. Der Fotoroman von Soulas wurde vom 4.4.1956 bis einschließlich 11.6.1956 in den Ausgaben 20-34 veröffentlicht.
(*2) Fotomagazin , Heft November 1970, Deckblatt.
(*3) Photo, Heft 19, 1974.
(*4) Siehe Sperling, Fritz, Menschen vor der Kamera Heute, Photografie Annuelle 1975. Braun, Norbert, Der Photograph, Heft Juni 1970. Fotomagazin Februar 1971 und Dezember 1971. Der Photograph, Nr. 3/1973.
(*5) Steichen, Edward (Hrsg.) The Family of Man, The Museum of Modern Art, New York 1986 (1955), S. 3